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  • Übersicht

    1   Einleitung und persönlicher Bezug

    2   Leben Adolph Kolpings und Gründung des katholischen Gesellenvereins

    3   Gründung des katholischen Gesellenvereins zu Minden

    4   Situation der Bevölkerung und Wirtschaftsstruktur in Minden

    4.1   Gesellschaftliche Situation der katholischen Bevölkerung

    4.2   Soziale Frage in Minden

    4.3   Eigenverantwortlichkeit in der gesellschaftlichen und beruflichen Bildung

    5   Bildungssituation in Minden

    6   Mindener Gesellenverein

    7   Fazit

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    1   Einleitung und persönlicher Bezug

    Ich bin seit dem 15.10.2007 offiziell Mitglied der Kolpingsfamilie Minden. Seither versuche ich mehr über Kolping und die Kolpingsfamilie Minden zu erfahren. Als dann im Geschichtsunterricht die soziale Frage behandelt wurde, war das für mich eine geeignete Gelegenheit die näheren Hintergründe der Gründung der Kolpingsfamilie Minden zu beleuchten. Aus dieser anfänglichen Idee wurde dann mein Thema für die Facharbeit.

    Bei meinen Recherchen habe ich an verschiedenen Orten gesucht, da ich zum einen auf die Stadtgeschichte zum anderen aber auch auf die Vereinsgeschichte und die Geschichte der Domgemeinde eingehen will.

    Bei diesen Nachforschungen habe ich Interessantes und nebenbei auch einiges Erstaunliches erfahren, auch wenn das nicht unmittelbar mit dem Thema zu tun hatte. Mit der Zeit begann sich der Sachverhalt immer deutlicher vor mir abzuzeichnen und machte damit auch die Arbeit zunehmend spannender. In meiner Facharbeit möchte ich nun also herausfinden wie es zur Gründung der Kolpingsfamilie Minden kam, welche sozialen Verhältnisse in der Stadt während der Zeit der Hochindustrialisierung bestanden und wie die Kolpingsfamilie zur Verbesserung der Lebensumstände beitragen konnte.

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    2   Leben Adolph Kolpings und Gründung des katholischen Gesellenvereins

    Adolph Kolping wurde 1813 in Kerpen geboren. Er war der vierte Sohn eines Schäfers und somit von Haus aus arm. Dennoch legten seine Eltern großen Wert auf die Bildung ihrer Kinder. So schickten sie sie zur Volksschule und achteten darauf, dass sie keinen Unterricht versäumten, auch wenn sie ihre Hilfe zu hause gut hätten gebrauchen können. Kolping besuchte die Schule gerne und hätte seine Studien am liebsten auf dem Gymnasium weiter fortgesetzt. Doch leider reichte das Geld der Familie dafür nicht. Also begann er mit noch nicht ganz dreizehn Jahren eine Lehre als Schuhmacher, die er nach drei Jahren abschloss. Da er bald schon nach mehr Bildung in seinem Beruf strebte, ging er auf Wanderschaft. Als wandernder Geselle hoffte er außerhalb seines Dorfes gebildeteren Menschen zu begegnen als im Umkreis seines Geburtsortes. Doch seine Hoffnungen wurden bald enttäuscht. Als „rohe Gemüter, meist schon in ihrem tiefsten Innern verdorben, die sich der größten Entsittlichung nicht schämten”1 bezeichnete er seine Berufsgenossen, denen nichts an Bildung lag.2

    In Kolping entstand ein Zwiespalt. Die lange Jahre gehegte Lesesucht brachte ihm zwar ein wenig Bildung, jedoch hob er sich dadurch auch von seinen Mitgesellen ab. Eine tiefe innere Unruhe befiel ihn. Er hätte sich gern weitergebildet, dieses forderte aber, dass er seinen Beruf, seine Stütze, aufgab. Andererseits konnte er nicht so weiterleben wie bisher, denn er fühlte sich „vereinsamt mitten unter [seinen] Standesgenossen” und sah sich „an eine Lebensweise gebunden, die [ihm] Grauen einflößte”3. Er befand sich zwischen den Ständen. Nach acht Jahren der Wanderung arbeitete er beim besten Schuhmacherbetrieb Kölns, und es schien für sein Einkommen gesorgt zu sein, auf das auch seine Familie angewiesen war. Doch Kolping sprach mit seinem Vater bei einem Besuch zu hause über seine Situation und dieser erteilte ihm seine Zustimmung, das Gymnasium zu besuchen.4

    Kolping nahm also außerhalb seiner Arbeitszeit Nachhilfestunden, bis er 1837 in die Tertia des Marzellengymnasiums in Köln aufgenommen wurde. Seinen Lebensunterhalt verdiente er durch ein Stipendium und das Geben von Nachhilfestunden.5 Dennoch lebte er in Armut, bis er nach seinem Abitur in das Priesterseminar eintrat. Nach seiner Priesterweihe am 13. April 1845, einen Tag zuvor war sein Vater gestorben, kam Kolping als Kaplan nach Wuppertal-Elberfeld.6

    Dort beobachtete er die Folgen der industriellen Revolution für die Handwerker und Arbeiter. Hatte er zuvor in einem krisensicheren Beruf gearbeitet, da die Schuhmacher keine Konkurrenz durch maschinelle Fertigung zu befürchten hatten, so sah er jetzt wie sehr vor allem die Weber unter der Mechanisierung der Produktion zu leiden hatten. Sie litten vor allem unter materieller, aber auch unter geistiger Armut.7

    In Elberfeld kam Kolping zum ersten Mal mit dem vom Lehrer Johann Breuer gegründeten Gesellenverein in Kontakt, bei dem er als zweiter Präses fungierte. Er sah das Potential eines katholischen Gesellenvereins darin, den Entwicklungen der industriellen Revolution entgegenzusteuern und formte den Verein nach seinen Vorstellungen. Als er sah, dass sein Konzept funktionierte, beschloss er seine Idee zu verbreiten und gründete am 6. Mai 1849 einen Gesellenverein in Köln, wo dieser ebenfalls großen Anklang fand. In den folgenden Jahren unternahm Kolping viele und weite Reisen, um auch in anderen Regionen und Ländern Gesellenvereine zu gründen.8

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    3   Gründung des katholischen Gesellenvereins zu Minden

    Auf einer dieser Reisen kam er auch 1860 nach Minden, wo er mit dem damaligen Propst Kopp und Kaplan Bergmann zusammentraf. Kolping überzeugte vor allem Bergmann mit seinen Ideen. Dieser gründete noch im selben Jahr einen Lehrlingsverein, aus dem, nachdem er hoch frequentiert wurde, 1863 der katholische Gesellenverein hervorging.9 Propst Bergmann begeisterte, ähnlich wie Kolping, sein Publikum mit den abendlichen Treffen, die „[belehrend und gesellig]“10 sein sollten.

    Wilhelm Bergmann wurde im Januar 1833 in Weiberg geboren und war der Sohn eines Lehrers und Küsters. Er machte in Paderborn im Alter von 19 Jahren sein Abitur. Danach studierte er dort auch Theologie. Zu dieser Zeit kam Adolph Kolping nach Paderborn, um dort die Gründung eines Gesellenvereines vorzunehmen. Kurz vor Bergmanns Priesterweihe im Jahre 1857 erlebte der Gesellenverein in Paderborn, der zuvor Schwierigkeiten hatte, einen Aufschwung unter dem neuen Bischof Dr. Konrad Martin.

    Im darauffolgenden Jahr kam Bergmann dann nach Minden, wo er eine Stelle als Schulvikar am Dom besetzte. Dort blieb er bis zu seinem Tod am 5. April 1906.

    Zuvor gründete der erste Mindener Präses jedoch noch eine Reihe wohltätiger Vereine und lud Schwestern aus Aachen ein, die seitdem das Michaelshaus leiten, in dem Bergmann während des Krieges 1870/1871 Verwundete unterbrachte und versorgen ließ. Dank seines großartigen Einsatzes in der Kolpingsfamilie Minden wurde er 1884 zum „1. Diözesanpräses aller Gesellenvereine im westfälischen Teil der Diözese Paderborn”11 ernannt. Als solcher hat er den Diözesanverband der Gesellenvereine aus seinen Schwierigkeiten herausgeführt und dafür gesorgt, dass er einer der bedeutendsten im gesamten Verband wurde.12; 13; 14

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    4   Situation der Bevölkerung und Wirtschaftsstruktur in Minden

    4.1   Gesellschaftliche Situation der katholischen Bevölkerung

    Rund ein Drittel der katholischen Minderheit, 1890 waren nur 3147 von 20.224 Mindenern katholisch, war als Handwerker in Berufen mit geringem Einkommen, wie dem Schneiderhandwerk, tätig. Das andere Drittel stellten die Arbeiter, die zumeist bei der Eisenbahn angestellt waren, die Übrigen waren kleine Kaufleute, Angestellte oder Beamte. Die Struktur der katholischen Bevölkerung bot also ideale Voraussetzungen für die Einrichtungen eines solchen Gesellenvereins.15

    Kolping wollte „Familienväter mit einer aus der christlichen Verantwortung erwachsenen Lebenseinstellung heranbilden”16. Der Gesellenverein mit seiner „paternalistisch-familiären Struktur”17 war für die jungen Mindener Gesellen genau das Richtige. Sie fanden hier Beschäftigung in den „[belehrenden und geselligen]“18 Abendveranstaltungen, die sie sonst nur im Bürgerverein der Stadt suchen konnten, der sich jedoch nur unregelmäßig zu „[außerkirchlichen, lärmenden Festlichkeiten] – Tanzvergnügen u.s.w.”19 traf und bei Umzügen eine Fahne zur Schau trug. Während die Frauen in zahlreichen anderen Vereinen, wie dem Mütter- oder Elisabethverein, tätig sein konnten, die auch von Propst Bergmann gegründet worden waren, wurden nun auch die Männer angesprochen.20 Dabei ließ der Gesellenverein nicht allein Gesellen katholischen Glaubens zu seinen Aktionen zu, sondern war offen für alle.21

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    4.2   Soziale Frage in Minden

    Das Angebot des Gesellenvereines richtete sich vor allem an Handwerker, Handwerksgesellen und Arbeiter. Diese Zielgruppe hatte in der Zeit der Industrialisierung oft Probleme, wie „unsichere Arbeitsplätze, häufige Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne bei langen Arbeitszeiten, Wohnungselend und fehlende Versorgung bei Krankheit, Invalidität und Tod”22. Diese Umstände in Verbindung mit der zunehmenden Industrialisierung stellen die soziale Frage dar.

    In Minden hielt die Industrialisierung jedoch nicht so starken Einzug wie in den restlichen Teilen Deutschlands. Da Minden bis 1873 noch Festungsstadt war, griffen viele der preußischen Reformen, die die Industrialisierung fördern sollten, nicht.23

    Die Bauernbefreiung konnte in Minden nicht mehr durchgesetzt werden, da die Franzosen bereits die Leibeigenschaft abgeschafft hatten, als sie Minden besetzten. Die Gewerbefreiheit und vor allem die Freiheit in der Standortwahl, spielten für Minden ebenfalls keine Rolle, da Betriebe auf Grund der Befestigung nicht expandieren konnten. Dadurch gab es in Minden auch keine größeren Betriebe, die es sich, durch die Steuer und Finanzreform, zu fördern lohnte.

    Nach der Aufhebung der Festungsstadt entstand eine rege Bautätigkeit, die sich an den hohen Zahlen der Tischler- und Maurergehilfen zeigt.24

    Es handelte sich allerdings im Wesentlichen um mittelständische Betriebe, die Arbeiten ausführten, die sich nicht mechanisieren ließen, wie zum Beispiel die Zigarrenindustrie25. Da die Anschaffung einer Maschine mit Investitions- und Betriebskosten verbunden war und man außerdem Platz dafür benötigte, war dies für mittelständische Unternehmen, wie es sie in Minden gab, wenig attraktiv.

    Getroffen wurde durch die zunehmende Mechanisierung lediglich die Mindener Textilindustrie, die große Konkurrenz durch die modernen Nachbarn Bielefeld und Herford bekam. Zudem war das Verhältnis von Schneidern zu Einwohnern extrem hoch: Ende des 19. Jahrhunderts kam auf sechzehn Erwachsene ein Schneider.26

    Die preußische Regierung startete zwar ein Rettungsprojekt zum Anbau von Seidenraupen, um die Spinner und Weber aus der Krise herauszuführen, dieser Versuch glückte jedoch nicht, da die Maulbeerbäume, welche als Nahrung für die Raupen gepflanzt wurden, eingingen.27 Die Textilverarbeiter waren und blieben also arm.

    Im Jahre 1871 verdiente mehr als die Hälfte der Steuerzahler weniger als 100 Thaler netto im Jahr und fast zwei Drittel der Mindener Familien oder Personen, hatten ein Jahreseinkommen von weniger als 150 Thalern netto (Anlage 1). Die Kosten für Miete und Lebensunterhalt betrugen aber um die 120 Thaler im Jahr. Für jemanden, der damit noch eine Familie versorgen musste, konnte dieses Einkommen nicht genügen28. Ein preußischer Beamter verdiente im 19. Jahrhundert ungefähr 100 Thaler. Da Minden Verwaltungsstadt war lebten hier viele dieser Beamten. Ein Soldat des preußischen Heeres verdiente sogar nur 24 Thaler im Jahr, was in einer Garnisonsstadt wie Minden den gering verdienenden Bevölkerungsanteil teilweise erklärt.29

    Zusammenfassend ergibt sich daraus ein Bevölkerungsbild, das überwiegend von Geringverdienern geprägt ist. Für über zwei Drittel der Bevölkerung war es folglich schwierig, ihren Kindern die schulische Ausbildung zu finanzieren. Zum Ausgleich für diesen Misstand gründete der bereits erwähnte Propst Bergmann den Elisabethverein, welcher zunächst keine festen Mitglieder hatte, sondern nur milde Gaben sammelte, um es Kindern, vor allem Mädchen, zu ermöglichen, die Schule zu besuchen. Arme Familien konnten sich oft nur die nötigen Bücher und ordentliche Kleidung für die Söhne leisten. Dem versuchte der Elisabethverein entgegenzusteuern.30

    Die Notwendigkeit dieser Einrichtung zeigt sich in den Verwaltungsberichten der Jahre 1872 bis 1882, in denen ein dramatischer Anstieg von Vereinsausgaben, Mitgliederzahlen und vor allem an untergebrachten Kindern, sowie dem Anteil der täglich gespeisten Kinder, zu erkennen ist.31

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    4.3   Eigenverantwortlichkeit in der gesellschaftlichen und beruflichen Bildung

    Die zunehmende Bedeutung der Bildung für niedere Einkommensklassen wird in einem Artikel des Minden-Lübbecker Kreisblattes vom 18. April 1863 betont.

    Der Autor bezeichnet darin die Arbeit als „Trägerin unseres ganzen volkswirtschaftlichen Lebens”32. Die Arbeiter stellen zwar die größte Gruppe innerhalb der Bevölkerung dar, dennoch ist es nicht die Pflicht des Staates direkt „für das Wohlergehen der Bürger”33 zu sorgen, sondern lediglich  die Vorraussetzungen für die freie Entfaltung des Einzelnen zu schaffen.

    Die Einführung der Gewerbefreiheit gibt dem Arbeiter die Möglichkeit nach mehr Wohlstand und einer besseren gesellschaftlichen Stellung zu streben, wodurch allerdings auch eine größere Konkurrenz unter den Arbeitern entsteht. Dieses steht im Kontrast zu früheren Zeiten, in denen der Staat den Markt regelte, indem er nur eine bestimmte Anzahl Handwerker einen Beruf ausüben ließ, oder die Einfuhr bestimmter Waren stoppte.

    Nur die Bildung führt zu Wohlstand, welcher „zu einer würdigen, geehrten, angenehmen Stellung im Leben”34 verhilft.

    Der Autor warnt die Arbeiter davor, auf das allgemeine Wahlrecht zu hoffen, anstatt sich um die eigene Bildung zu bemühen, denn diese kann man, im Gegensatz zum Wahlrecht, sofort erlangen, wohingegen es ungewiss bleibt, wann das Letztere eingeführt wird.

    Am 16. Mai desselben Jahres erschien eine Ergänzung zu dem am 18. April veröffentlichten Artikel „Zur Arbeiter-Frage”. In diesem weiterführenden Artikel wird das Problem der Arbeiter näher beleuchtet. Zunächst werden Arbeiter als Menschen, die ihr Geld durch irgendeine Art von Arbeit verdienen, definiert. Allerdings differenziert der Autor zwischen angesehenen, besser bezahlten und weniger angesehenen schlechter bezahlten Berufen. Die Höhe des Lohnes wird allein durch Angebot und Nachfrage von Arbeitskräften bestimmt, die diesen Beruf ausüben können. Um Arbeiten mit höheren Qualifikationsanforderungen erledigen zu können, wird Bildung benötigt. Nur so kann sich der Arbeiter „heraufarbeiten in höhere Klassen, wo lohnendere und geachtetere Arbeit winkt”35. Der wachsenden Konkurrenz kann der Einzelne nur etwas entgegensetzen, wenn er sich selbst bildet, um sich einen Vorsprung vor Anderen zu verschaffen. Auf diese Art und Weise kann er sich seine Kunden sichern und zu etwas Wohlstand gelangen.

    Der Arbeiter sollte sich aber nicht nur in seinem Fach fortbilden, sondern auch „danach streben, auch von allgemeiner Bildung und Gesittung so viel irgend möglich sich anzueignen, damit er sich mehr Welt- und Menschenkenntnis, einen geweckteren Geist, ein feineres Gefühl, ein stärkeres Selbstbewusstsein und eine geachtetere Stellung in der Gesellschaft erringe.”36

    Dazu dienen die vielen Bildungsvereine, die zu der Zeit überall entstehen und kostengünstige Bildungsangebote bereitstellen. Der Autor gibt zwar zu, dass es schwierig ist nach einem langen Arbeitstag noch etwas zu lernen, aber er weist auch darauf hin, dass das Lernen mit der Zeit leichter falle und vielleicht sogar Freude bereite. Als Fazit möchte ich hier zwei Sätze des Artikels wiedergeben, die mir besonders geeignet scheinen, die Meinung des Autors zusammenzufassen: „Bildung macht reich, macht frei, macht glücklich; Bildung ist mehr als zu irgendeiner andern Zeit, für unsere Tage das Haupterfordernis für alle. Sie sichert jedem, der emsig und unablässig nach ihr strebt, eine bessere Zukunft.”37

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    5   Bildungssituation in Minden

    Der Zeitungsartikel vom 16. Mai zeigt auffallende Parallelen zum Leben Adolph Kolpings, der nach eben den im Text beschriebenen Vorsätzen handelte. Kolping strebte danach sich durch Bildung in einen höheren Stand zu erheben, genauso wie der Artikel es von der Mindener Bevölkerung verlangt, da man allein durch Bildung einen höheren und angeseheneren Stand erreichen könne.

    Kolping bildete sich nach seiner Arbeit fort, um die Aufnahmeprüfung für das Gymnasium zu  bestehen und es machte ihm trotz der Anstrengungen Freude, ebenso wie das Lesen, das er niemals aufgab. Und genau so fordert es auch der Zeitungsartikel: Die Arbeiter sollen sich nach der Arbeit weiterbilden, auch wenn dieses anfänglich anstrengend sein könne.

    Als Kolping noch als wandernder Geselle durch die Lande zog und sich durch das Lesen einige Bildung aneignete erging es ihm genauso wie es der unbekannte Autor prophezeit, indem er sagt: „jeder Schritt vorwärts auf dem Pfade des geistigen Fortschritts bringt von selbst die Sehnsucht nach besseren und geordneteren äußeren Verhältnissen mit sich.”38 Kolping fühlte sich nämlich mit den Jahren immer unwohler unter seinen Standesgenossen und sehnte sich danach dieses alte Leben vollends aufzugeben. Das einzige was ihn daran hinderte waren seine bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnisse.39

    Kolping wollte mit seinem Verein Menschen helfen, die sich in genau der gleichen Lage befanden wie er. Dabei zielte der Verein nicht bloß darauf ab Menschen zu bilden, sondern erbrachte auch soziale Leistungen, wie das Gesellenhospiz. Kolping war also auch darauf bedacht, im Gegensatz zu der im Zeitungsartikel propagierten Meinung, auch durch praktische Hilfe die Lage seiner Mitmenschen zu verbessern.

    Die bereits geschilderten sozialen Verhältnisse und die Bevölkerungsstruktur der Mindener Katholiken weisen darauf hin, dass in Minden eine Nachfrage nach Bildung bestand. Der Mindener Gesellenverein bot den jungen Menschen jedoch nicht nur eine Perspektive durch die Bildung, die er vermittelte, sondern stellte auch eine große Familie dar, in der jeder willkommen war. Die meist orientierungslosen Handwerksgesellen, denen eine feste Bindung zur Kirche fehlte, brachte Propst Bergmann wieder näher an Gott heran und bot ihnen eine Zuflucht und neuen Halt im Gesellenverein.

    Weiterhin weisen auch der Zeitungsartikel und die Einrichtung des Elisabethvereins, so wie die zunehmende Inanspruchnahme desselben, auf eine mangelhafte Bildungssituation unter den unteren Bevölkerungsschichten hin.

    Zwar gab es schon seit 1530 das Ratsgymnasium in Minden und seit dem frühen 19. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht. Allerdings war es mit der schulischen Ausbildung für die meisten Mindener Kinder nach der Volksschule vorbei, da bei vielen Familien das Geld für einen weiterführenden Schulbesuch nicht ausreichte.

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    6   Mindener Gesellenverein

    Der Mindener Gesellenverein ist also als Antwort auf die fehlende Bildung und Orientierung unter den Handwerkern und speziell unter den Gesellen zu verstehen. In diesem Sinne wurde auch 1895 das Gesellenhospiz zu Minden gegründet. Es hatte vorrangig „den Zweck:

    1. als Herberge für wandernde oder in Minden sich aufhaltende Handwerksgesellen zu dienen;
    2. den Unterricht in allen das Gewerbe betreffenden Gegenständen, so wie Vorträge über praktische Lebensfragen unter strengem Ausschluss jeder Politik und religiöser Polemik zu vermitteln.
    3. Räumlichkeiten darzubieten für belehrende und gesellige Unterhaltung der Handwerksgesellen.”40

    Das Gesellenhospiz befand sich zwischen Domstraße und Klausenwall (Anlage 4), auf einem Grundstück, das Propst Bergmann von seinem Gehalt bezahlte, das der Staat in der Zeit des Kulturkampfes gestrichen hatte, später jedoch nachzahlte.

    Das Gesellenhospiz bestand noch bis das Grundstück 1969 an den Dom übertragen wurde. Es besaß einen Wirtschaftsgarten und eine Gaststube sowie 11 Bettstätten.

    Im Keller wohnte ein Hausmeister, der neben seinen Hausmeistertätigkeiten auch ein Handwerk ausübte, da das Hausmeistergehalt nur gering war. Der erste Stock war an Privatpersonen vermietet. Die Schlafstätten für die Gesellen und Mitglieder befanden sich unter dem Dach.41

    Die Gründung eines solchen Gesellenhospizes resultierte daraus, dass viele wandernde Gesellen Unterkunft benötigten. Von 1863 bis 1884 wurden 715 Gesellen vom Mindener Gesellenverein aufgenommen, die aus Regionen von Marienburg über Emden bis Regensburg stammten. Es wurden durchschnittlich also mehr als 34 Gesellen im Jahr aufgenommen, von denen manche über 2 oder 3 Jahre blieben.42

    So bot der Gesellenverein in Verbindung mit seinem Hospiz sowohl weltliche als auch geistige Heimat. In den darauffolgenden Jahren wuchs der Gesellenverein weiter, bis die Vereinstätigkeiten während des ersten Weltkrieges fast vollständig zum Erliegen kamen, da die meisten Mitglieder zu den Waffen gerufen wurden und die Vereinsräume zur Einquartierung russischer Kriegsgefangener beschlagnahmt wurden.43

    Als nach dem Ende des Krieges die Kriegsgefangenen das Gesellenhospiz verließen, waren die Räume in einem schlechten Zustand. Nachdem das Haus renoviert worden war richtete man im ersten Stock, statt der bisherigen Privatwohnungen, nun einen Kolpingsaal ein.44

    Am 3. Dezember 1933 wurde der Gesellenverein in die uns heute bekannte Kolpingsfamilie umbenannt, da der deutsche Gesamtverband Probleme mit dem nationalsozialistischen Regime bekam. Beim Verbandstag, der 1935 in München stattfand, blieben die Veranstaltungen zwar ungestört, es wurden jedoch Vereinsmitglieder unter fadenscheinigen Gründen von der SA zusammengeschlagen. In Minden gab es jedoch diesbezüglich wenige Probleme, da Minden Garnisonsstadt war und auch stets einige Soldaten in Uniform an den Vorträgen teilnahmen. 1938 fand in Minden ein Einkehrtag mit Generalpräses Monsignore Hürth statt, während die SA durch Mindens Straßen zog.45

    Als 1939 der zweite Weltkrieg ausbrach, wurden wiederum die Vereinstätigkeiten bis auf weiteres eingestellt.

    Nach 1945 mussten die vom Krieg geprägten Jugendlichen erst wieder für die Kolpingsfamilie gewonnen werden. Präses Johannes Claes schaffte es mit Hilfe der „getreuen Alten den Verein zu neuem Leben zu wecken”46. Der Verein spielte vor allem in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle, da er viele karitative Aufgaben übernahm, wie zum Beispiel einen „Winternotdienst”47.

    1949 war die Kolpingsfamilie maßgeblich am Bau der Domlandsiedlung beteiligt. Kolpingsöhne hatten in Zusammenarbeit mit ihrem Präses Johannes Claes ein Konzept ausgearbeitet, nachdem die Deutsche Bischofskonferenz die Gemeinden aufgerufen hatte Kircheneigenes Land zur Verfügung zu stellen, um die Wohnungsnot zu bekämpfen. Der damalige Propst Parensen stimmte dem Projekt nach Beratung mit dem Kirchenvorstand zu. So wurden zwischen 1949 und 1955 24 Doppelhäuser für 300 Menschen gebaut, wobei vor allem junge Kolpingmitglieder beim Bau halfen.48

    1972 wurden in Minden die ersten Frauen in der Kolpingsfamilie aufgenommen, nachdem sich das Kolpingwerk nach einem langen Öffnungsprozess dafür entschieden hatte auch Frauen zum Verein zuzulassen.

    Heute umspannt das Kolpingwerk die ganze Welt und betreibt viele Projekte, wie zum Beispiel das Tatico-Kaffe Projekt, bei dem mexikanischen Kaffeebauern ein angemessener Preis für ihre Ware gezahlt wird, oder das Briefmarken-Projekt, bei welchem Briefmarken gesammelt und verkauft werden, um Menschen in Südamerika, Afrika und Asien eine Ausbildung zu ermöglichen.49 Außerdem unterstützt das Kolpingwerk Südamerika, indem es Missionare auf Zeit dorthin schickt.

    Aber auch in Deutschland wird auf Bildung noch ein besonderer Schwerpunkt gelegt. Die Kolpingjugend, die Organisation für jugendliche Kolpingmitglieder, kümmert sich darum, dass junge Gruppenleiter sich in Hinblick auf die Jugendarbeit weiterbilden können.

    Die Kolpingsfamilie Minden veranstaltet Informationsabende zu verschiedensten Themen, geistigen Fragen, aber auch zu „[praktischen] Lebensfragen”50. So ist das Kolpingwerk seiner Rolle als karitativer und bildender Verein bis heute treu geblieben.

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    7   Fazit

    Abschließend kann man sagen, dass die Gründung des Gesellenvereins in Minden auf jeden Fall eine Widerspiegelung der sozialen Frage darstellt. Der Gesellenverein übernahm dabei nicht nur Aufgaben der Versorgung von Handwerkern und Arbeitern sondern auch die Bildung und die Verbindung zur Religion. Auf diese Art und Weise wurde den Menschen nicht nur das Nötigste zum Leben gegeben, sondern sie erhielten auch eine neue Perspektive. Diese Aufgabe übernimmt das Kolpingwerk auch heute noch und erfüllt seine Aufgaben ganz im Sinne Adolph Kolpings, mit dem ich diese Facharbeit beschließen möchte: „In der Gegenwart muss unser Wirken die Zukunft im Auge behalten.”